Vorvertragliche Aufklärungspflichten bei Einrichtung eines Datenraums


Vorvertragliche Aufklärungspflichten bei Einrichtung eines Datenraums

Vorvertragliche Aufklärungspflichten bei Einrichtung eines Datenraums

In einem aktuellen Urteil hat sich der Bundesgerichtshof grundlegend dazu geäußert, wann der Verkäufer seine Aufklärungspflichten gegenüber dem Käufer dadurch erfüllt, dass er Unterlagen in einem sog. Datenraum zur Verfügung stellt. Dies ist nur der Fall, wenn und soweit er nach den Umständen des Falls die berechtigte Erwartung haben darf, dass der Käufer durch Einsicht in den Datenraum von dem offenbarungspflichtigen Umstand erhalten wird. Das hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist zu verneinen, wenn ergänzende Unterlagen erst kurz vor Vertragsschluss in den Datenraum eingestellt werden, ohne den Käufer hierauf hinzuweisen.

Gegenstand des Verfahrens war der Kauf mehrerer Gewerbeeinheiten in einem Gebäudekomplex zum Preis von reichlich 1,5 Mio. Euro unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Die beklagte Verkäuferin hatte im Kaufvertrag versichert, die Eigentümerversammlung habe, abgesehen von der geplanten Dachsanierung mit näher bezifferten wirtschaftlichen Auswirkungen, keine Beschlüsse gefasst, die eine künftig fällig werdende Sonderumlage erforderten. Sie hatte ferner versichert, nach ihrem Kenntnisstand seien außergewöhnliche Kosten, die die Instandhaltungsrücklage überstiegen, nicht angefallen, auch sei ihr nicht bekannt, dass solche Kosten zu erwarten oder weitere Sonderumlagen beschlossen seien. Im Kaufvertrag war zudem vermerkt, dass die Verkäuferin der Käuferin die Protokolle der Eigentümerversammlungen aus den letzten drei Jahren übergeben und die Käuferin Kenntnis von deren Inhalt habe.

Im Zuge der Vertragsverhandlungen richtete die Verkäuferin einen virtuellen Datenraum mit verschiedenen Unterlagen zum Kaufobjekt ein, auf den die Klägerin Zugriff erhielt. Am Freitag unmittelbar vor der für den folgenden Montagvormittag vereinbarten Beurkundung des Kaufvertrags stellte die Verkäuferin das Protokoll einer Eigentümerversammlung in den Datenraum ein, das einen Beschluss enthielt, eine ehemalige Mehrheitseigentümerin auf Zahlung von 50 Mio. Euro in Anspruch zu nehmen. Diese Forderung beruhte auf einem zehn Jahre zuvor gefassten Beschluss zum Umbau des Gemeinschaftseigentums, wobei die Erhebung einer Sonderumlage von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten abgelehnt worden war. Eine andere Eigentümerin hatte Klage erhoben, um die Erhebung der Sonderumlage durchzusetzen. Einige Monate nach Vollzug des Kaufvertrags endete der Prozess durch einen Vergleich, durch den die Eigentümer der Gewerbeeinheiten zu einer Sonderumlage i.H.v. vorerst € 750.000, bei Bedarf bis zu € 50.000.000, für Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten am Gemeinschaftseigentum verpflichtet wurden. Nachdem die Klägerin auf dieser Grundlage in Anspruch genommen wurde, erklärte sie die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, vorsorglich zudem den Rücktritt und nahm die Verkäuferin auf Rückabwicklung und Zahlung von Schadenersatz in Anspruch.

Der V. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 15.09.2023 (V ZR 77/22) anders als die Vorinstanzen angenommen, die Verkäuferin habe ihre Aufklärungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt. Die Verkäuferin habe die Käuferin ungefragt darüber aufklären müssen, dass am Objekt Baumaßnahmen anstanden, die Kosten bis zu 50 Mio. Euro auslösen könnten, was von erheblicher Bedeutung und nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei der Besichtigung nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sei. Der Aufklärungspflicht stehe nicht entgegen, dass die Baukosten vornehmlich von der Mehrheitseigentümerin übernommen werden sollten, da für die Klägerin das konkrete Risiko bestanden habe, anteilig für die anfallenden Kosten aufkommen zu müssen.

Die Beklagte habe die Aufklärungspflicht nicht dadurch erfüllt, dass sie kurz vor Kaufvertragsabschluss das Protokoll der Eigentümerversammlung mit dem Beschluss über Umbauten am Gemeinschaftseigentum in den Datenraum eingestellt habe. Die Offenbarungspflicht sei auch dann nicht generell ausgeschlossen, wenn der Käufer sich selbst Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand verschaffen könne. Das gelte insbesondere dann, wenn es nicht um bei einer Besichtigung ohne Weiteres erkennbare Mängel gehe. Eine Informationsmöglichkeit des Käufers könne mit der Aufklärung durch den Verkäufer nur dann gleichgesetzt werden, wenn der Verkäufer erwarten könne, dass der Käufer die übergebenen Unterlagen unter einem bestimmten Aspekt gezielt durchsehen werde, etwa bei einem vom Verkäufer übergebenen Sachverständigengutachten über Mängel. Für Ordner mit Unterlagen oder übergebene Finanzierungsunterlagen sei dagegen nicht zu erwarten, dass der Käufer sie auf Mängel der Kaufsache durchsehen werde.

Dasselbe gelte, wenn der Verkäufer für potentielle Erwerber in einem Datenraum Unterlagen bereitstelle. Allein das Einrichten des Datenraums und die Gewährung von Zugang hierzu lasse nicht generell erwarten, dass der Käufer offenbarungspflichtige Umstände zur Kenntnis nehme. Ob der Verkäufer annehmen dürfe, seine Aufklärungspflicht über die Bereitstellung von Unterlagen in einem Datenraum zu erfüllen, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, beispielsweise von der Struktur und Organisation des Datenraums und ggf. dazu getroffenen Vereinbarungen, der Wichtigkeit und leichten Auffindbarkeit der offenbarungspflichtigen Information und davon, ob der Käufer eine Due Diligence durchführe.

Stelle der Verkäufer wie im entschiedenen Fall erst kurz vor Vertragsschluss, zumal über das Wochenende, ein weiteres Dokument in den Datenraum ein, ohne den Käufer darüber zu informieren, dürfe er nicht erwarten, dass der Käufer davon Kenntnis erlange.

Ergänzend hat der BGH darauf hingewiesen, dass auch eine Schadenersatzpflicht der Verkäuferin für unzutreffende Angaben im notariellen Kaufvertrag bzw. unvollständige Antworten auf Fragen der Klägerin, §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB in Betracht komme.