Werbung für ärztliche Fernbehandlungen eingeschränkt zulässig


Werbung für ärztliche Fernbehandlungen eingeschränkt zulässig

Werbung für ärztliche Fernbehandlungen eingeschränkt zulässig

Unter welchen Voraussetzungen für ärztliche Fernbehandlungen geworben werden darf, hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 09.12.2021 entschieden. Eine solche Werbung ist namentlich dann erlaubt, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt nicht erforderlich ist. Dabei kommt es nicht auf das ärztliche Berufsrecht an, sondern auf die medizinisch-fachlichen Standards, die eine ordnungsgemäße Behandlung sicherstellen.

Anlass für das Besprechungsurteil ist die Klage eines Wettbewerbsverbands gegen die Werbung einer privaten Krankenversicherung für „Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App“ (Quelle: BGH-Pressemitteilung Nr. 224/2021). Dahinter verbarg sich ein sog. digitaler Arztbesuch bei in der Schweiz niedergelassenen Ärzten über eine App. In Streit stand das Werbeverbot für Fernbehandlungen gemäß § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG). Im Zeitpunkt jener Werbung war in Deutschland nach dieser Norm noch jegliche Werbung für Fernbehandlungen, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht, untersagt. Seit 19.12.2019 ist die Vorschrift um einen Satz 2 ergänzt, wonach die Werbung für eine ärztliche Fernbehandlung dann erlaubt ist, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher Kontakt zwischen dem Arzt und dem Patienten nicht erforderlich ist.

Land- und Oberlandesgericht haben die Krankenkasse antragsgemäß auf Unterlassung der Werbung verurteilt. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil für beide Fassungen von § 9 HWG bestätigt.

Nach der alten Fassung, die noch heute die Grundregel für die Werbung mit Fernbehandlungen bildet, sei die Werbung unzulässig. Die nach dem Gesetz notwendige eigene Wahrnehmung des Arztes von dem zu Behandelnden setze voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern zugleich untersuchen kann, z.B. durch Abhören, Abtasten, Abklopfen oder mit medizinischen Hilfsmitteln wie Ultraschall. Dies sei bei einer bloßen Videosprechstunde unmöglich.

Aufgrund der Gesetzesänderung im Jahr 2019 sei die Werbung für eine Fernbehandlung, auch durch Apps, auch für Erstbehandlungen eingeschränkt möglich. Voraussetzung von § 9 S. 2 HWG sei, dass nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich sei. Maßgebend hierfür sei der Begriff des fachlichen Standards im Sinne des § 630a Abs. 2 BGB, also die Frage, welchem Standard die ärztliche Tätigkeit im Rahmen eines Behandlungsvertrags genügen muss. Der BGH betont dabei, dass diese Standards sich u.a. aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder des Gemeinsamen Bundesausschusses (§§ 92, 136 SGB V) ergeben und auch erst im Laufe der Zeit (fort-)entwickeln können. Deshalb komme es nicht auf das jeweilige ärztliche Berufsrecht an. Unerheblich sei, ob in der Schweiz eine ärztliche Fernbehandlung berufsrechtlich bereits seit Jahren zulässig ist.

Die konkret beanstandete Werbung sei deshalb unzulässig, da sie umfassend, nicht auf bestimmte Beschwerden oder Krankheiten bezogen, für eine ärztliche Primärversorgung per Fernbehandlung geworben habe. Mit anderen Worten kommt eine Werbung für Fernbehandlungen grundsätzlich sowohl für Folge-/Kontrolltermine als auch für bestimmte Erstvorstellungen dann in Betracht, wenn nach dem anerkannten fachärztlichen Standard ein persönlicher ärztlicher Kontakt nicht erforderlich ist. Wann genau dies bejaht werden kann, ist bisher offen und wird sicher noch Gegenstand weiterer Verfahren sein.