Insolvenzrechtliche Überschuldung als eigenständiges Indiz für Gläubigerbenachteiligungsvorsatz


Insolvenzrechtliche Überschuldung als eigenständiges Indiz für Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Insolvenzrechtliche Überschuldung als eigenständiges Indiz für Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 03.03.2022 (IX ZR 53/19) die insolvenzrechtliche Überschuldung als ein Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und für die Kenntnis des Gläubigers von dem Vorsatz bejaht. Daneben stellt das Urteil klar, dass allein aus der Kenntnis eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags im Jahresabschluss keine Beobachtungs- und Überwachungspflicht eines institutionellen Gläubigers im Hinblick auf das spätere Eintreten einer Zahlungsunfähigkeit erwächst.

Der Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH, die einen ambulanten Pflegedienst betrieben hatte, hat das Finanzamt auf Rückzahlung von etwa sieben Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens per Lastschrift eingezogenen Steuerverbindlichkeiten in Anspruch genommen. Er machte die Rückzahlung der eingezogenen Beträge unter dem Aspekt der Vorsatzanfechtung geltend. Die Jahresabschlüsse 2010 und 2011 wiesen einen sich erhöhenden Jahresfehlbetrag (in Höhe eines Vielfachen des Stammkapitals) aus, der maßgeblich auf Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern der Schuldnerin beruhte und nicht durch Eigenkapital gedeckt war. Die Schuldnerin hatte die Jahresabschlüsse mit den Jahressteuererklärungen bei dem Finanzamt eingereicht. Außer den Jahresabschlüssen bestanden aus Sicht der Finanzverwaltung keine Anhaltspunkte für wirtschaftliche Schwierigkeiten der Schuldnerin. Das Zahlungsverhalten der Schuldnerin war einschließlich des Einzugs der umstrittenen Beträge beanstandungsfrei.

Die Klage ist in allen Instanzen erfolglos geblieben. Der IX. Zivilsenat hat das Verfahren indes zum Anlass genommen, der ausdifferenzierten Rechtsprechung zu Beweiserleichterungen bei dem oft nur indirekt durch Indizien möglichen Beweis des Schuldnervorsatzes, Gläubiger zu benachteiligen, eine weitere Facette hinzuzufügen.

Bekanntlich kommt es bei der Klärung, ob der Schuldner seine Gläubiger vorsätzlich benachteiligt, nicht nur auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners an, sondern auch auf die Umstände, unter denen eine Rechtshandlung vorgenommen wird, etwa eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung oder die Übertragung von Vermögensgegenständen auf nahestehende Personen.

Der IX. Zivilsenat hat nun klargestellt, dass die insolvenzrechtliche Überschuldung nicht nur ein Hinweis auf die drohende Zahlungsunfähigkeit ist, sondern zugleich ein - eigenständiges – Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Die Überschuldung ist gleichzeitig ein Indiz dafür, dass der Anfechtungsgegner den Vorsatz des Schuldners kennt. Wie stark diese Indizwirkung ausfällt, hängt davon ab, wann und mit welcher Wahrscheinlichkeit wegen der Überschuldung die Zahlungsunfähigkeit eintritt.

Weiter hält der BGH fest, dass der Insolvenzverwalter im Anfechtungsprozess grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die insolvenzrechtliche Überschuldung, auch für die negative Fortführungsprognose, trägt. Denn es fehle eine gesetzliche Vermutung für die Annahme einer Überschuldung i.S.v. § 19 InsO. Auch stelle § 19 Abs. 2 S. 1 InsO keine Beweislastregelung zugunsten des Insolvenzverwalters dar; ein solcher Wille des Gesetzgebers sei nicht erkennbar. Der Insolvenzverwalter müsse daher, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon zu belegen, nicht nur eine Bilanz vorlegen, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, und ggf. zu stillen Reserven oder anderen nicht bilanzierten Vermögenswerten vortragen. Vielmehr müsse er auch zur negativen Fortführungsprognose vortragen. Erst danach könne die Stärke des Beweisanzeichens beurteilt werden.

Auf der Seite des Gläubigers, in jenem Fall der Finanzverwaltung, verneint der BGH eine Beobachtungs- und Erkundigungspflicht im Hinblick auf eine mögliche Überschuldung, wenn dem Finanzamt lediglich im Rahmen des Besteuerungsverfahrens ein Jahresabschluss übermittelt wurde, der einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag erkennen lässt. Zwar könnten institutionelle Gläubiger nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH solche Beobachtungspflichten treffen. Der IX. Zivilsenat hat ausdrücklich offengelassen, ob er an diesen Pflichten festhält. Jedenfalls genüge die Kenntnis von einem Jahresabschluss mit einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag nicht, zumal sie der Information im Besteuerungsverfahren diene. Die Finanzverwaltung könne grundsätzlich davon ausgehen, dass die Verantwortlichen des Steuerpflichtigen aus einem Fehlbetrag die nötigen Konsequenzen gezogen hätten. Schließlich könne die Kenntnis des Finanzamts nicht vermutet werden.

Ob die Anfechtung für Insolvenzverwalter durch diese Entscheidung erleichtert wird, mag angesichts der nicht unerheblichen Darlegungsanforderungen zweifelhaft erscheinen.