Beweisfragen bei Auszahlungsforderungen beim Fehlen des Original-Sparbuchs


Beweisfragen bei Auszahlungsforderungen beim Fehlen des Original-Sparbuchs

Beweisfragen bei Auszahlungsforderungen beim Fehlen des Original-Sparbuchs

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 18.01.2022 (XI ZR 380/20) stellt es ein starkes Indiz für die Entwertung oder Vernichtung eines Sparbuchs nach dessen Auszahlung dar, dass der Anspruchsteller das Sparbuch nicht im Original vorlegen kann, sondern nur einen Ausschließungsbeschluss, mit dem das Sparbuch für kraftlos erklärt worden ist. Dies gilt unabhängig davon, ob das Kreditinstitut sich am Aufgebotsverfahren beteiligt hat oder nicht.

Anlass der Entscheidung ist ein teils lang zurückliegenden Sachverhalt, in dem eine Erbin nach ihrem im Dezember 1998 verstorbenen Vater ein Bankinstitut auf Auszahlung eines Sparbuch-Guthabens in Anspruch nahm. Das von der klagenden Erbin für das Nachlassgericht erstellte Nachlassverzeichnis wies Bankguthaben und ein Sparguthaben unter der Sparbuch-Nummer aus. In den Monaten nach dem Erbfall hatte die Klägerin mehrere Termine bei der Beklagten wahrgenommen. Die Klägerin verteilte das nach Abzug von Verbindlichkeiten verbliebene Guthaben des Bankkontos in dreistelliger Höhe unter den Erbinnen. Im Jahr 2014 forderte die Klägerin u.a. vom beklagten Kreditinstitut Auskunft über den Verbleib der Guthaben des Erblassers; die Beklagte konnte nach Ablauf der zehnjährigen Aufbewahrungsfrist keine Auskunft erteilen. Die Klägerin und zwei der Miterbinnen beantragten im Sommer 2015 die Kraftloserklärung des Sparbuchs unter Vorlage eidesstattlicher Erklärungen, wonach sie erst im Jahr 2014 von dessen Existenz erfahren hätten, dieses aber nicht auffindbar sei. Mit amtsgerichtlichem Beschluss wurde das Sparbuch im Februar 2016 für kraftlos erklärt. Die Beklagte war im Aufgebotsverfahren als Beteiligte genannt, aber nicht beteiligt oder angehört worden. Parallel hatte der Ehemann der Klägerin die Beklagte in einem anderen Verfahren erfolglos auf Auszahlung des Kontoguthabens in Anspruch genommen.

Die vom Landgericht abgewiesene Stufenklage auf Auskunft über die Zinshöhe und Auszahlung des Sparbuchguthabens hatte vor dem Oberlandesgericht Erfolg. Der XI. Zivilsenat des BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Nach Auffassung des BGH ist der Anspruch auf Auszahlung eines Sparguthabens nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Sparbuch nicht mehr im Original vorgelegt werden kann. Letztes sei ein qualifiziertes Legitimationspapier i.S.v. § 808 BGB, das den Schuldner berechtige, aber nicht verpflichte, ohne Prüfung der materiellen Berechtigung an den Urkundeninhaber fällige Zahlungen zu leisten. Bei Abhandenkommen oder Vernichtung einer Urkunde, kann diese im Aufgebotsverfahren für kraftlos erklärt werden; die Kraftloserklärung ersetzt die Vorlage der Urkunde.

Allerdings trage das Kreditinstitut nicht in gleicher Weise wie bei der Vorlage eines nicht entwerteten Sparbuchs die volle Beweislast dafür, dass das Guthaben bereits ausgezahlt sei. Zwar bleibe die Bank nach Kraftloserklärung des Sparbuchs grundsätzlich beweispflichtig für die Auszahlung. Jedoch sei in einem solchen Fall bei der Gesamtwürdigung aller Umstände zu beachten, dass das Fehlen des Original-Sparbuchs ein starkes Indiz für dessen Entwertung oder Vernichtung nach der Auszahlung des Guthabens sei. Dies gelte unabhängig von der Frage, ob das Kreditinstitut sich am Aufgebotsverfahren beteiligt habe.

Weiter betont der BGH, dass es nach § 286 ZPO einer umfassenden Würdigung des Prozessstoffs und der Ergebnisse der Beweisaufnahme bedarf. Insbesondere müssen Widersprüche im Verhalten von Parteien entsprechend gewürdigt werden und dürfen ambivalenten Umständen nicht Indizwirkungen zugesprochen werden, die sie nicht haben. Hierbei handelt es sich um Selbstverständlichkeiten, die jedoch im Gerichtsalltag immer wieder übersehen werden.